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Revolution der Frauenheilkunde (Interview mit Dr. Mandy Mangler)

Aktualisiert: vor 17 Stunden

In der Medizin fehlt oft ein weiblicher Blickwinkel – das will Dr. Mandy Mangler ändern. Die Chefärztin, Professorin und Mutter von fünf Kindern fordert in einem Interview nicht weniger als eine Revolution der Frauenheilkunde. Dabei zeigt sie auf, wie medizinische Standards noch immer überwiegend von männlichen Studien geprägt sind und betont die dringende Notwendigkeit einer frauenzentrierten Medizin. Mit klaren Worten und fundierter Kritik fordert sie, dass Frauen endlich eine Medizin erleben, die ihre Bedürfnisse und ihr Wohl in den Mittelpunkt stellt.


Das ganze Interview mit Dr. Manady Mangler:


Mandy Mangler ist Chefärztin, Professorin, hat fünf Kinder – und will die Frauenheilkunde revolutionieren. Wie kommt man so weit nach oben, wenn man so unangepasst ist?

Vera Schroeder


Mandy Mangler ist Chefärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und betreibt den deutschen Podcast «Gyncast» des «Tagesspiegels». Ende Oktober ist «Das grosse Gyn-Buch» von ihr erschienen, eine Art Grundsatzwerk der feministischen Frauenheilkunde. Mandy Mangler hat fünf Kinder und lebt mit ihrem Partner in Berlin. Als wir sie treffen, hat sie am Morgen schon operiert.


Frau Mangler, Ihr Buch heisst «Das grosse Gyn-Buch» – und will einen neuen, weiblichen Blick auf ein «konservativ geprägtes Fach» der Medizin lenken. Kleiner ging es nicht?

Ich möchte vom männlich geprägten Blick in der Gynäkologie wegkommen. Und ja: Das ist eine grosse Sache. Mir haben schon immer einige wichtige Antworten in meinem Fach gefehlt, zum Beispiel zur Menopause, zur Pille oder zum PCO-Syndrom, einer der häufigsten Stoffwechselstörungen bei Frauen. Wir wissen da entscheidende Dinge einfach nicht genau genug, die Studienlagen sind unzureichend, die Datenlage ist es auch.


Und das liegt daran, dass diese Themen Frauen betreffen?

Das ist der gesellschaftspolitische Hintergrund, ja. Frauenmedizin hat immer weniger Geld bekommen als die grosse allgemeine Medizin, die ja bislang vor allem eine Männermedizin war. Sie wurde über lange Zeit bis auf wenige Ausnahmen von Männern gemacht. Und der männliche Körper war die Norm in der Forschung. Studien wurden bis in die 1990er hinein fast ausschliesslich an Männern ausgeführt, weil Frauen wegen ihres Zyklus als zu kompliziert dafür galten oder man Angst hatte, dass sie schwanger sind oder werden.


Aber die gynäkologischen Studien mussten doch mit Frauen gemacht werden, es geht doch um den weiblichen Körper?

Weit gefehlt. Ganz viele Medikamente, die wir in der Frauenheilkunde verwenden, wurden nur an Männern getestet. Nach dem Motto: Frauen sind kleine Männer. Dabei wird verkannt, dass viele Medikamente auf Frauen anders wirken, sie können etwa andere Nebenwirkungen haben. Aber diese Fragen wurden gar nicht gestellt, weil die Medizin aus der Perspektive von Männern gestaltet wird.


Heute gibt es mehr Frauen als Männer in der Gynäkologie.

Ja, 70 Prozent Gynäkologinnen und 30 Prozent Gynäkologen – in Deutschland wie auch in der Schweiz. Die Leitlinien für die Behandlung und die vorherrschenden medizinischen Fachmeinungen sind aber nach wie vor fast ausschliesslich von Männern geprägt.


Sie sagen «medizinische Fachmeinungen» – hängt die Medizin wirklich an Meinungen von Ärztinnen und Ärzten?

Viel zu oft. Nicht, weil die Frauenheilkunde so gerne meint, sondern weil uns an vielen Stellen das fachliche Wissen fehlt, um evidenzbasiert zu handeln. Weil uns die Forschung fehlt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Stellenwert, den die Geburt als medizinisches Ereignis hat. Bei uns in Deutschland findet dieses Ereignis 690’000-mal im Jahr statt, in der Schweiz rund 80’000-mal. So viele Frauen, ihre Babys sowie ihre Partner oder Partnerinnen geht dieses Thema jedes Jahr unmittelbar an. In der aktuellen Krankenhausreform in Deutschland spielt es aber so gut wie keine Rolle.


Vielleicht sind wir schon ganz gut darin, bei den Geburten? Die Sterblichkeit ist in der Schweiz sowie auch in Deutschland sehr gering, der Standard ist hoch.

Wir könnten noch viel besser werden. Wir kommen in der Geburtshilfe von diesem mechanistischen Blick, der Anfang des 20. Jahrhunderts sicher Sinn ergeben hat. Durch teilweise sehr drastische Eingriffe und Massnahmen ging die Sterblichkeit enorm zurück. Aber die Frauen heute gebären über hundert Jahre später. Und aus ihren Erfahrungen wissen wir: Der mechanistische Blick, also das, was noch von ihm da ist, hat auch etwas Entmenschlichendes für die Gebärenden. Es gibt Gewalt in der Geburt, psychisch wie physisch. Und für viel zu viele Frauen ist dieses zentrale Lebensereignis kein ermächtigendes Erlebnis, sondern eher ein Trauma. Da muss man doch besser werden wollen.


Geht das denn: eine sichere und gleichzeitig selbstermächtigende Geburt, zum Beispiel in einem Notfall?

Nehmen Sie eine Komplikation, ein Geburtsstillstand nachts um drei. Jeder möchte, dass die Sache gut ausgeht. Alle Beteiligten sind nur Menschen. Und dann fällt, unter Druck und im Stress, eben auch mal von einem Geburtshelfenden ein gewaltsamer Satz wie: «Jetzt strengen Sie sich mal an, damit Ihr Kind nicht stirbt.»


Es würde helfen, den Stress des Geburtshelfenden zu reduzieren, damit so ein Satz nicht fällt?

Genau. Warum haben wir keinen Algorithmus oder ein Rechenmodell, gewonnen aus einer grossen Datenanalyse aller Geburten, das zum Beispiel sagt: «Die Herztonableitung hat sich verändert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das verbessert, liegt bei soundsoviel Prozent. Eine Sectio ist deshalb eher nicht notwendig.» Und dann kann man das mit der Familie evidenzbasiert gemeinsam besprechen. Ohne solche Analysemodelle sprechen wir ganz oft über Gefühle und Erfahrungen des einzelnen Arztes, die auch wertvoll sind, aber eben keine bestmögliche standardisierte Medizin.


Aber man kann doch so etwas Individuelles wie Geburten nicht komplett durchstandardisieren.

Dieses Ereignis findet so häufig statt. Nicht immer gleich, aber ähnlich. Natürlich kann man da in der Analyse noch viel machen, wenn man will. In einem Matriarchat wären wir weiter.


Als Ärztin mit solchen revolutionären Ansichten in der männerdominierten Gynäkologie: Wie sind die Herren da auf Sie zu sprechen?

Insgesamt habe ich ein sehr gutes Verhältnis auch zu männlichen Kollegen, und ein Gegeneinander soll es auf gar keinen Fall sein. Aber es scheint schon eine Herausforderung für einige zu sein, gelegentlich auch eine Kränkung, wenn ich einfach nur beschreibe, was ist.


Was kränkt die Männer so?

Es reicht oft die Tatsache, dass man etwas weiss, was sie nicht wissen. Letztens musste ich wieder einem männlichen Gynäkologen erklären, dass die Qualität der weiblichen Sexualität nicht dadurch sichtbar wird, dass die Vagina feucht wird. Das ist ein Irrtum, da gibt es Studien dazu, das ist einfach eine Reaktion des Körpers und kann auch passieren, wenn Frauen etwa sexualisierte Gewalt erfahren. Das fand der Mann nicht gut, dass ich ihm das erklärt habe.


Sie sind Chefin von zwei Kliniken, haben einen eigenen Podcast, jetzt das Buch, dazu fünf Kinder – wie durchgetaktet ist Ihr Alltag?

Ach, es wird besser, meine Jüngste ist ja jetzt schon sechs, das macht viel aus. Aber es gab Phasen in meinem Leben, da wusste ich: Ich habe jetzt 60 Sekunden fürs Zähneputzen und dann exakt 22 Minuten für die Visite, sonst bricht mein Tag zusammen. Wer da im Weg stand, wurde leicht mal überrollt. Aber so ist es nicht mehr.


Woher hatten Sie auf dem Weg nach oben das Gespür, wann man sich anpassen muss und wann man sich trauen kann, dagegen zu gehen?

Das war ein kontinuierlicher Prozess. Ich hatte viele schwierige männliche Vorgesetzte. Wahrscheinlich habe ich auch deswegen so viele Kinder in der Fachärztinnenausbildung bekommen, weil ich immer mal wieder Pausen von diesen Chefs brauchte. Darin lag viel Selbstermächtigung. Selbstbewusster wurde ich auch, als es uns einmal als Team gelang, uns gegen einen extrem hierarchischen, tyrannisierenden Chef durchzusetzen, unter dem wir nicht mehr funktionieren konnten. So habe ich früh gelernt, dass man sich wehren kann und sollte.

Damit die Dinge im Gesundheitswesen weiter gut funktionieren, braucht es Veränderung, sagen Sie. Zum Beispiel brauche die Pille dringend ein Update.

Ja, gutes Beispiel. Die Pille ist ein super Verhütungsmittel, das die Frauen ganz grundlegend von dem Zwang befreite, schwanger zu werden. Und jetzt blicken wir auf 60 Jahre Pille zurück, und man kann es eigentlich kaum fassen, wie wenig seitdem passiert ist, wie wenig über Verhütung weiter nachgedacht wurde. Denn die Pille hat auch grosse Nebenwirkungen: Lungenembolien, darüber weiss man viel, aber es gibt auch depressive Verstimmungen als Nebenwirkung, bis hin zu Suiziden, darüber wissen wir wenig. Und die Pille führt bei 20 Prozent der Patientinnen zu einem Libidoverlust.


Man kann es sich tatsächlich schwer vorstellen, dass diese hohe Zahl bei einem Medikament für Männer einfach so hingenommen würde.

Die Pille für den Mann gibt es ja, aber sie wurde nie auf den Markt gebracht, eben wegen der Nebenwirkungen – die denen der Pille für die Frau sehr ähnlich sind. Die WHO spielte damals eine unrühmliche Rolle, indem sie mehrere Studien einstellte, weil sie angeblich unethisch seien. Dabei wurde das Medikament für Frauen zuvor genauso getestet

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